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2003/08/18 st.galler tagblatt

 

Friede, Freude, SMS

Baden in der Masse, Feiern im Beizli - Zauber einer lau(t)en Sommernacht

Eine Stadt und tausendundein grosse und kleine Festplätze, das St. Galler Fest findet seine Gestalt. Nach der Regenausgabe vom letzten Jahr für einmal eine Nacht, wie sie im Süden nicht schöner sein könnte.

Josef Osterwalder

«Super Fest!» - wers nicht glaubt, siehts schwarz auf weiss: eine der vielen aktuellen SMS-Botschaften, mit denen die Festteilnehmer die ganze Gemeinde beglücken können. Es darf auch ein bisschen privater sein. «Sybill, ich liebe Dich!» - «He Pfnolch, i ha di gärn!» - «Schnufel, i lieb Di!». Bei einem Fest ist alles etwas öffentlicher als sonst - auch die Liebesbezeugungen.

Bratwurst à l´indiscrétion

Die SMS-Grüsse rollen über die Bildschirme, die der Kanton ans Fest mitgebracht hat; wobei «s´Gschenk» noch aus weit mehr besteht: aus Akrobaten, Clowns und Evergreens. Dies betrifft nicht nur den musikalischen Stil, der auf der Kantonsbühne gepflegt wird; Evergreens heisst auch die Kapelle, in der behinderte Menschen aus Urdorf sich in die Herzen der Zuhörenden spielen. Wer während des ganzen Festes hier stecken bleibt, dem duftet die kantonale Spezialbratwurst entgegen, die fast so lang ist wie ein Spazierstock: Wurstfrass a l´indiscrétion. Der Auftritt des Kantons gehört zu den Überraschungen des Festes. Genauso wie die Pfadfinder aus Bruggen, deren Kletterwand von Jung-St. Gallen belagert wird. Oder die Wiener Stimmung, die Claudia Dallinger und Roman Brülisauer mit Gesang und Hackbrett im Spisermarkt verbreiten. Oder die Äthiopier, die beim Waaghaus mit ihrer Kaffeezeremonie den Duft der Heimat nach St. Gallen bringen.

Von der Predigt überrascht

Eine Überraschung erleben auch die Besucherinnen und Besucher der Feuerwehrbeiz, die sich vor dem Waaghaus plötzlich in einen ökumenischen Gottesdienst versetzt fühlen. Während die beiden Pfarrer Alfons Sonderegger und Robert Müller von den Vorzügen des Wassers reden, schaut mancher verstohlen auf sein Bierglas, hoffend, dass es sich nicht plötzlich in ebensolches verwandle. Gut zwei Dutzend Musikplätze decken die Stadt mit Rhythmen und Harmonien ein. Daneben gibt es 140 Standplätze, an denen gekocht, gegrillt, gewirtet, getanzt, getrunken wird - ganz nach Gusto der Betreiber. Zu diesen gehören Wirte, Vereine, Gruppen, gemeinnützig die einen, eigennütziger die andern. Angeboten wird Kulinarisches oder Ideelles oder beides zusammen, wie etwa an den Ständen der Parteien.

Im Verein vereint

Manche Stände behalten ihren Platz von Stadtfest zu Stadtfest, andere kommen und gehen. Konstanz und Wechsel, beides tut dem St. Galler Fest gut. Und so gliedert sich denn auch die Festgemeinde: beim Dixieland das Mittelalter, unter martialischem Bumbum die Jugend, im Vereinszelt die Vereins-, beim Parteistand die Parteifamilie. Je grösser das Fest, umso sicherer der Halt im Kreis der Vertrauten. Andere aber werfen sich mitten hinein, ins Gedränge, in den Stau aus Menschen, frei nach Elias Canetti: «Das Fest ist das Ziel ... man bewegt sich durcheinander und nicht miteinander fort.» Für einmal ist man also nicht auf dem Weg des Fortschritts, sondern geniesst den Augenblick.

Amors Pfeile auf dem Bohl

Ein junges Paar wird von Amors Pfeil getroffen, legt ich mitten im Bohlgedränge auf den Boden und bedeckt sich gegenseitig mit Küssen. Wenige Meter daneben liegt eine Frau, der es gerade den Magen kehrt. Man ist unter fünfzigtausend anderen, und doch erlebt jeder sein eigenes Fest. Gedränge zwar, aber nicht zur Masse verschweisst; selbst dann nicht, wenn die Megawatt-Lautsprecher einen Strassenzug wie die Brühlgasse zur Brüllgasse machen. Denn längst wissen die Jugendlichen, wie man auch einer Mega-Beschallung ein Schnippchen schlagen kann. Reden kann man im Gewitter der Bässe zwar nicht, telefonieren noch weniger - doch per SMS findet sich dennoch Herz zu Herz. Und so kristallisiert die Masse denn auch mehr und mehr zu kleinen und grossen Gruppen. Die einen sitzen im Kreis auf den Schienen der stillgelegten Trogenerbahn; die andern ziehen sich in den Kantonsschulpark oder auf den Klosterplatz zurück. Jedes Mäuerchen und Bänkchen, jeder Stromkasten und Trottoirrand wird zum Treffpunkt. Begegnung und Freude, dies sehen Peter Stössel und Bruno Bischof, die OK-Zugpferde, als Ziel des Festes. Vor drei Jahren haben sie es übernommen, einen neuen Typ von Stadtfest zu kreieren. Langsam gewinnt es Gestalt: Friede, Freude, SMS.

Wem die Stadt gehört

Letztes Jahr musste sich das Fest noch gegen den strömenden Regen bewähren. Damals kam man mit dem Budget bedrohlich nahe an den Abgrund. Dieses Mal belohnte eine linde Sommernacht das Fest. Und mehr und mehr erhält es seinen Inhalt: Eine Stadt, die ganz den Menschen gehört. Da wären wir schon fast wörtlich bei Shakespeares «Sommernachtstraum»: «Mehr wundervoll wie wahr ...»

80 000 Festgäste

30 000 kamen am Freitag, 50 000 am Samstag: Zusammen mehr, als die Stadt Einwohner hat. In der Nacht zum Sonntag zog OK-Präsident Peter Stössel eine durchwegs positive Bilanz. Das Fest sei ohne ernste Zwischenfälle abgelaufen. Die vereinzelten medizinischen Notfälle hätten trotz des Gedränges ohne Probleme betreut werden können.

Positiv auch die Bilanz Bruno Bischofs, der die Musikgruppen engagiert hatte: Man habe eine breite Palette abdecken können. Jeder Geschmack sei auf die Rechnung gekommen. Zufrieden äusserte sich auch Corinne Sieber, welche die Kantons-Crew anführte, die mit dem «Geschenk» auf dem Blumenmarkt zugegen war. Urs Weishaupt, Informationsbeauftragter der Stadt, betonte, dass das Fest kein Geschäft sei, weder für die Stadt noch für das OK. Ziel sei einzig gewesen, ein schönes Wochenende zu schenken. Bewährt habe sich namentlich auch das Verkehrskonzept. Besonders rege wurden die Spätverbindungen von Bus und Bahn in alle Himmelsrichtungen benutzt. (J. O.)

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